Freihaus-Artikel Januar 2023: Frau, Leben, Freiheit! Jin, Jiyan, Azadi!
Mehr als vier Monate ist es her, dass der plötzliche Tod einer jungen Frau während ihrer Inhaftierung in Teheran zu einer Welle an Protesten und Solidarität im Iran und weit darüber führten. Mahsa Amini war 22 Jahre alt als sie die religiöse Sittenpolizei in Gegenwart ihres Bruders nahe einer Teheraner U-Bahnstation festnahm, weil sie gegen die geltenden islamischen Kleidungsvorschriften verstieß. Augenzeugen vor Ort berichteten von Gewalt gegen die junge Frau noch während ihrer Festnahme. Es war das letzte Mal, dass ihre Familie sie lebend sah. Sie starb unter ungeklärten Umständen am 16. September 2022 in einem Teheraner Krankenhaus. Die iranischen Behörden behaupteten später, sie habe in Polizeigewahrsam einen Herzinfarkt erlitten.
Das islamische Regime im Iran schien unerschütterlich wie eh und je, doch der sinnlose Tod Mahsa Aminis sollte zu der größten Welle an Protesten gegen die Mullahs seit 2009 führen. Frauen demonstrierten weltweit in den Straßen und in den sozialen Medien ihre Solidarität mit den Iranerinnen, indem sie sich religiösen Kleiderordnungen widersetzten und ihre Haare abschnitten. Die Worte „Jin, Jiyan, Azadi“ – „Frau, Leben, Freiheit“ wurden zum Schlachtruf einer ganzen Bewegung, die seither immer wieder die mediale Aufmerksamkeit auf die prekären Umstände insbesondere der Frauen aber auch der gesamten Bevölkerung im Iran lenkt. Er bringt dabei nicht zufällig etwas zum Ausdruck, was in der öffentlichen Diskussion hierzulande an das berüchtigte Schlagwort der „feministischen Außenpolitik“ erinnert.
Die menschenverachtende Situation unterdrückter Frauen unter dem Mullah-Regime im Iran oder auch unter den Taliban in Afghanistan scheint die Essenz des Konzepts der feministischen Außenpolitik recht eindeutig auf den Punkt zu bringen: Dort, wo Frauen als Gruppe gesellschaftlich, politisch und sozial marginalisiert werden, steht es sehr schlecht um die Achtung von Menschen- und Bürgerrechten im Allgemeinen. Oder, um es mit den Worten unserer Außenministerin, Annalena Baerbock, zu formulieren: Der Zugang von Frauen zu Rechten, Repräsentanz und Ressourcen ist ein Gradmesser für die Einhaltung der Menschenrechte innerhalb eines politischen Systems.
Im Iran wehren sich die Menschen gegen vier Jahrzehnte Unterdrückung, Marginalisierung und Bevormundung durch den Staat bis in den Raum der Privatsphäre hinein. Die Frauen spielen dabei gerade deshalb eine besondere Rolle, weil sich an ihrer Situation der Kontrollwahn des iranischen Regimes bis aufs Äußerste zuspitzt. Ihnen wird vorgeschrieben, was sie anzuziehen haben, wen sie lieben dürfen, welche öffentlichen Ämter sie einnehmen dürfen, welche Schulen oder Universitäten sie besuchen dürfen. Ihre gesamte Teilnahme am öffentlichen, politischen aber auch am privaten Leben ist durch die religiöse Ordnung reglementiert und eingeschränkt, die Strafen für Verstöße sind menschenverachtend und drakonisch. Mahsa Amini musste sterben, weil man ihr vorwarf, ihren Hidschāb in der Öffentlichkeit nicht korrekt getragen zu haben.
Die Worte „Jin, Jiyan, Azadi“ sind vor diesem Hintergrund weit mehr als eine proklamatorische Absichtserklärung. Sie sind die Einsicht der iranischen Zivilbevölkerung, die nach größerer politischer Teilhabe und Mitbestimmung strebt, dass ihre Freiheit mit der Freiheit der Frauen steht und fällt.
Doch was bedeuten sie für uns? Was bedeuten sie für unsere Haltung zum Konzept der viel betonten feministischen Außenpolitik? Und die vielleicht noch viel wichtigere Frage: Was können wir hier vor Ort tun, damit unsere Solidarität mit den Iranerinnen keine inhaltsleere Bekundung bleibt?
Als FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag müssen wir uns zur feministischen Außenpolitik als einem tragenden und vor allem leitenden Konzept einer menschenrechtsbasierten Außen- und Sicherheitspolitik stärker und vor allem unter liberalen Vorzeichen positionieren. Es gilt, den Terminus mit Inhalten zu füllen, die einen genuin liberalen Beitrag zur feministischen Außenpolitik leisten. Denn die feministische Außenpolitik kann in der Tat zu einer größeren Sensibilisierung im Umgang mit marginalisierten Gruppen aber auch mit historisch gewachsenen Asymmetrien im internationalen System führen. Bei unserer Suche nach Partnern im globalen Süden und im ostasiatischen Raum kann der gezielte Blick auf die politische Teilhabe von Frauen in politischen Systemen ein Kompass für deren Reformpotential und Reformwille hin zu liberalen offenen Gesellschaften sein. Und wir brauchen sie dringend, die Partner in der Welt mit Wille zur Demokratisierung!
Doch was können wir tun, um die Menschen im Iran zu unterstützen? Seit Beginn der Proteste haben sich viele Demonstrantinnen und Demonstranten unter Einsatz ihres Lebens dem Regime widersetzt. Die Gefängnisse sind überfüllt mit politischen Gefangenen. Die Situation jeder und jedes einzelnen ist prekär, so berichten es international tätige Menschenrechtsorganisationen wie die NGO „Human Rights Activists News Agency“. Gemeinsam mit vielen anderen Mitgliedern des Deutschen Bundestages haben wir deshalb Patenschaften für politische Gefangene im Iran übernommen. Die Nachrichtenlage ist insgesamt schwer zu durchdringen und es ist nicht immer nachvollziehbar, ob Informationen über den Verbleib und das Schicksal von Menschen valide sind. Wichtig ist jedoch, dass wir nicht wegsehen, während Hundertausende ihr Leben für mehr Freiheit riskieren. Wir fragen deshalb immer wieder bei der iranischen Botschaft nach. Wir lenken gezielt die Aufmerksamkeit in den sozialen Medien auf das Schicksal einzelner. Nur so bekommt der Protest auch ein Gesicht! Zudem kann es auf regionaler Ebene wichtig und sinnvoll sein, Kontakt zu Exil-Iranerinnen und Iranern zu suchen. Viele Gruppen organisieren in regelmäßigen Abständen lokal und regional Proteste für die Einhaltung der Menschenrechte im Iran, so z.B. in meinem Heimatwahlkreis Braunschweig. In diesem Sinne: Jin, Jiyan, Azadi!