Anikó Glogowski-Merten

Freihaus-Artikel Juli 2023: Ein ereignisreiches erstes Halbjahr!

Anikó Glogowski-Merten, Foto: Michelle Kortz

Im ersten Halbjahr 2023 gab es viele Höhen und Tiefen. Der Jahrestag des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, die Erdbeben in Syrien und der Türkei, die Unterdrückung in Belarus und im Iran prägten neben vielen anderen Tagesordnungspunkten eine intensive Arbeit im Auswärtigen Ausschuss. Im Klimaausschuss haben wir viele neue Gesetze erarbeitet und mit dem Kulturausschuss ist es uns gelungen, die Kultur an vielen Stellschrauben auch nach der Pandemie zu stärken. Begleitet von vielen Sondersitzungen und aktuellen Stunden konnten wir einiges auf den Weg bringen! Um Euch nicht mit Informationen zu erschlagen, möchte ich einige Themen herausgreifen, die mir besonders wichtig sind.

Am ersten März 2023 wurden zehn Leitlinien der feministischen Außenpolitik veröffentlicht. Mit diesen Leitlinien gibt die Bundesregierung unserem außenpolitischen Handeln einen Rahmen, der die Rechte, Repräsentation und Ressourcen von Frauen und marginalisierten Gruppen besonders berücksichtigt. Auch wenn ich zum jetzigen Zeitpunkt mit der Formulierung dieser Leitlinien des Auswärtigen Amtes noch nicht ganz zufrieden bin, sind sie als „work in progress“ zu verstehen und bereits ein großer Schritt in Richtung Geschlechtergerechtigkeit und menschliche Sicherheit. Auf internationaler Ebene müssen wir aber aufpassen, dass wir unsere Vorstellungen von Feminismus nicht in neokolonialer Manier anderen Ländern überstülpen. Wir brauchen kulturelle Sensibilität mit unseren außenpolitischen Partner:innen. Leitlinien dürfen nicht zur emotionalen Beruhigung durch die „richtigen“ Schlagwörter genutzt werden. Für eine richtige Feminist Foreign Policy müssen Taten folgen und Minderheiten vor Ort einbezogen werden. Nur so können wir verstehen, wie wir helfen können.

An dieser Stelle möchte ich auch nochmal auf den im Iran inhaftierten Mansour Dehmordeh aufmerksam machen, für den ich eine politische Patenschaft übernommen habe. Mansour, einem 22-jährigen Mann mit Behinderung, wurden haltlose Verbrechen wie ein „Krieg gegen Gott“ und „Korruption auf der Erde“ vorgeworfen. Anfang des Jahres erreichten uns die schrecklichen Nachrichten, dass Mansour zum Tode verurteilt wurde. Er wurde in seiner Haft im Zahedan Gefängnis gefoltert. Dabei hat man ihm ein Bein gebrochen, das sich nun infiziert hat. Sein Gesundheitszustand ist sehr kritisch, eine medizinische Behandlung wird ihm verwehrt. Mansour hat ein klares Recht auf Rechtsbeistand und medizinische Versorgung. Ich fordere das Regime daher erneut auf, ihn freizulassen, ihm die notwendige medizinische Versorgung zukommen zu lassen und das Todesurteil aufzuheben. Die Vorwürfe gegen ihn sind haltlos, sein Geständnis wurde unter Folter erzwungen. Wir vergessen die Verbrechen des Regimes nicht. Wir sehen sie. Der Mut und der Wille der iranischen Bevölkerung für eine demokratische Zukunft ihres Landes sind stärker als die Gewalt des Regimes.

Auch wenn Mansour noch nicht freigelassen wurde, können wir seit Beginn des Patenschaftsprogramms fast 100 politische Gefangene verzeichnen, die nunmehr nicht inhaftiert sind. Dies ist natürlich nicht allein auf die Patenschaften zurückzuführen. Aber neben hohen Kautionssummen spielt hier auch der gesellschaftliche, öffentliche und internationale Druck eine wichtige Rolle. Ich werde weiterhin mein Bestes geben, um die Aufmerksamkeit auf Mansour zu lenken. Unsere Menschenrechte sind unser höchstes Gut, für das wir uns gemeinsam einsetzen müssen.

Um uns weiter für Menschenrechte und Freiheit einzusetzen, habe ich gemeinsam mit meinen Kollegen Johannes Schraps (SPD), Robin Wagener (Grüne) und Knut Abraham (CDU/CSU) einen Vorschlag für eine Freundschaftsgruppe Demokratisches Belarus gemacht, woraufhin diese am 30.03.2023 im Deutschen Bundestag gegründet wurde. Mit der Gründung der Freundschaftsgruppe und der Entscheidung, die deutsch-belarusische Parlamentariergruppe nicht wieder einzusetzen, haben wir eine klare Position gegen das Lukaschenka-Regime bezogen und einen Raum für den Dialog mit der demokratiefordernden Opposition geschaffen.

Aber wir haben in diesem Halbjahr nicht nur reagiert, sondern auch agiert. Ich freue mich, dass es uns gelungen ist, einige eigene Programmpunkte auf die Tagesordnung zu setzen. So wurde im Juni endlich der Kulturpass eingeführt! Diesen erhalten vorerst alle Jugendlichen, die im Jahr 2023 18 Jahre alt sind oder werden. Wenn der Kulturpass erfolgreich getestet wird, soll er auch für alle 15- bis 17-Jährigen eingeführt werden. Nach den schweren Jahren der Pandemie wird den Jugendlichen damit wieder eine Brücke zur Kultur gebaut. Gleichzeitig kann der Kulturpass helfen, finanzielle Hürden beim Zugang zu kulturellen Angeboten ein Stück weit zu überwinden. Kulturelle Bildung ist nicht nur Aufgabe der Schulen, sondern muss auch im Umfeld stattfinden. Museumsbesuche, Kulturfeste, Konzerte - all das bereichert das kulturelle Verständnis und Selbstverständnis der Heranwachsenden.

Ein großer Schritt für unseren Umgang mit Kultur war die Rückführung der Benin-Bronzen. Außenministerin Annalena Baerbock übergab gemeinsam mit Staatsministerin Claudia Roth 20 der historischen Kunstschätze im Rahmen einer Zeremonie in der nigerianischen Hauptstadt Abuja. Wenngleich die Rückgabe und das weitere Verfahren mit den Bronzen eine hitzige Debatte über die Art und Weise der Rückführung und über Restitution auslöste, war es richtig und wichtig, diese Rückgabe an keinerlei Bedingungen zu knüpfen. Hier geht es um die Rückführung an die rechtmäßigen Eigentümer. Wie die Eigentümer dann mit ihre Kulturgütern umgehen, ist allein ihre Entscheidung. Oder wie Prof. Dr. Bénédicte Savoy sagt: „Wir müssen lernen, nicht alles bestimmen zu wollen und nicht für alles eine Lösung finden zu wollen, sondern wir müssen zurückgeben und schauen was passiert.“

Dieses intensive erste Halbjahr wurde in der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause noch einmal abgerundet mit gleich drei Gesetzen im Ausschuss für Klima und Energie. Mein persönliches Highlight: das umgekrempelte Gebäudeenergiegesetz. Keine Eingriffe in Eigentum, alle Heizungen können repariert werden. Wenn eine neue ansteht, kann technologieoffen jede passende Variante gewählt werden. Und vorher liefert der Staat eine Wärmeplanung!

Mein persönliches Fazit: Alles in allem ein schönes aber turbulentes erstes Halbjahr. Für das zweite Halbjahr ist schon viel geplant, aber nun geht es erstmal für die Sommerpause in meine geliebte Löwenstadt Braunschweig!