Anikó Glogowski-Merten

Freihaus-Artikel Juni 2023: Mit dem Bundespräsidenten nach Rumänien

Rumänien: Eines meiner Berichterstatterländer im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages, gleichzeitig das Land unserer Europäischen Kulturhauptstadt 2023 - eine Reise, die meine beiden Ausschüsse, den Auswärtigen Ausschuss und den Ausschuss für Kultur und Medien, zusammenführt - und das alles mit unserem Bundespräsidenten Frank Walter Steinmeier.

Die Reise führt von Berlin nach Bukarest, zum Amtssitz von Staatspräsident Klaus Ioannis. Mit ihm sprachen wir über die Entwicklung der Vollmitgliedschaft Rumäniens im Schengen-Raum. Rumänien ist noch kein Vollmitglied der EU, erfüllt aber inzwischen alle Voraussetzungen dafür. Die Aufnahme Rumäniens in den Schengen-Raum war im Dezember 2022 an den Einwänden Österreichs und der Niederlande gescheitert. Diese hatten befürchtet, dass mit einem Beitritt die illegale Migration über Rumänien zunehmen würde. Entscheidend für die illegale Migration nach Europa sind jedoch effektive Kontrollen an den EU-Außengrenzen und nicht der Beitritt einzelner Staaten.

Ein vollständiger Schengen-Beitritt würde bedeuten, dass die Bürger:innen Rumäniens innerhalb des Schengen-Raums der teilnehmenden Staaten praktisch passfrei reisen können. Rechtlich wird dies als „Recht auf Freizügigkeit“ bezeichnet. Das Recht auf Freizügigkeit ist eine der Besonderheiten, die Europa gesellschaftlich und wirtschaftlich zusammenführen und dynamisch halten. Es ist damit auch ein Katalysator für unsere europäische Kultur. Denn wenn wir uns ohne bürokratische Hürden frei bewegen können, fördert das den Austausch, schafft ein Gefühl der Zugehörigkeit und gibt den Bürger:innen mehr Freiheit, ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten.

In Bukarest führte uns unser Programm auch zum Grabmal des unbekannten Soldaten, wo unser Bundespräsident im Namen Deutschlands einen Kranz zum Gedenken an die Opfer des Zweiten Weltkrieges niederlegte. Ein bewegender Moment, der unser aller Vergangenheit, aber auch den aktuellen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine verbindet. Denn das Grabmal des unbekannten Soldaten steht nicht nur für die Soldaten, die anonym an einem unbekannten Ort gefallen sind. Es steht auch stellvertretend für das Grab jedes Soldaten, der im Krieg gefallen oder an seinen Kriegsverletzungen gestorben ist.  Nach einem Zwischenstopp in Sibiu (Hermannstadt) führte uns unsere Reise nach Timisoara, der Stadt der Revolution. Hier wurde am Denkmal für die Opfer der Revolution von 1989 ein Kranz niedergelegt. Ein Denkmal, das den mutigen Freiheitskampf der Bürger:innen gegen das Sowjetregime ehrt. Der Freiheitskampf gegen das Sowjetregime hat sich in diesem Monat, am 17. Juni, auch bei uns in Deutschland zum 70. Mal gejährt. Das sind wichtige Momente der Erinnerung unserer Geschichte, die uns die Bedeutung der Erinnerungskultur vor Augen führen. Denn Kultur hat die Kraft, uns spüren und verstehen zu lassen; auch das, was wir vielleicht nicht selbst erlebt haben, auch das, was sonst vielleicht in Vergessenheit geraten wäre.

Mit Kultur ging es weiter, denn Timisoara ist auch Europas Kulturhauptstadt 2023. Das Konzept der „Kulturhauptstadt Europas“ wurde 1985 von der Europäischen Union eingeführt, um das reiche kulturelle Erbe des Kontinents zu feiern und den interkulturellen Dialog zu fördern. Jedes Jahr wird eine Stadt ausgewählt, um als Kulturhauptstadt Europas zu fungieren und eine Vielzahl von kulturellen Veranstaltungen, Ausstellungen, Festivals und Projekten zu organisieren.  

Timisoara, auch bekannt als „Klein-Wien“, hat eine reiche Kultur und Geschichte, die bis ins 13. Jahrhundert zurückreicht. Es ist eine Stadt, die für ihre Vielfalt, ihre Kreativität und ihre künstlerische Ausdruckskraft bekannt ist. Die Stadt ist ein Schmelztiegel verschiedener Kulturen und Ethnien, die im Laufe der Jahrhunderte hier zusammengekommen sind. Die Veranstaltungen und Programme, die im Rahmen der Kulturhauptstadt Europas in Timisoara stattfinden, sind beeindruckend. Die Stadt ist zum Zentrum der künstlerischen Kreativität geworden, und die Straßen sind mit Kunstwerken und Installationen gefüllt. Künstler aus der ganzen Welt finden hier eine Plattform, um ihre Werke zu präsentieren und sich auszutauschen. Theateraufführungen, Konzerte, Ausstellungen und Festivals beleben die Stadt und bringen Menschen aus verschiedenen Teilen Europas zusammen. Aber die Kulturhauptstadt Europas ist nicht nur ein Anlass zum Feiern, sondern auch eine Gelegenheit, über die Bedeutung von Kultur nachzudenken. Kultur ist ein grundlegendes Element unserer Identität und eine Quelle des Zusammenhalts. Sie ermöglicht den interkulturellen Dialog und fördert das Verständnis zwischen den Menschen. Timisoara nutzt diese Gelegenheit, um die Kultur als Motor für sozialen Wandel und nachhaltige Entwicklung zu nutzen.

Und bald haben wir auch in Deutschland eine Kulturhauptstadt Europas: 2025 hat die Stadt Chemnitz die große Ehre, sich als Kulturhauptstadt Europas zu präsentieren. Chemnitz hat in den letzten Jahren einen erstaunlichen Wandel vollzogen. Einst als Zentrum der deutschen Industrie bekannt, hat sich Chemnitz zu einer modernen und dynamischen Stadt gewandelt. Heute ist Chemnitz eine Stadt, in der Kreativität und Innovation im Mittelpunkt stehen und die eine lebendige Kunst- und Kulturszene beheimatet.

Timisoara, die Stadt der Revolution in Rumänien, und Chemnitz, eine Stadt mit reicher industrieller Vergangenheit in Deutschland, mögen auf den ersten Blick wenig gemeinsam haben. Auf den zweiten Blick zeigt sich jedoch, dass beide eine bemerkenswerte kulturelle Entwicklung durchlaufen haben. Beide Städte nutzen auf ihre Weise die transformative Kraft der Kultur, um positive Veränderungen in ihren Gemeinschaften zu bewirken.

Ich bin dankbar, dass ich Timisoara auf meiner Rumänienreise so lebendig und vielfältig erleben durfte und freue mich schon sehr darauf zu sehen, wie die Vorbereitungen in Chemnitz weitergehen. Bald haben wir eine Kulturhauptstadt Europas quasi „um die Ecke“ - das kulturelle Programm 2025 ist also schon mal gesichert!