Anikó Glogowski-Merten

Freihaus-Artikel März 2024: Indien - ein Land im Aufbruch

Am 27.02.2024 ging es für mich mit einer Delegation des Ausschusses für Kultur und Medien nach Indien. Kultur ist das, was Länder voneinander unterscheidet, aber auch das, was uns letztlich verbindet. Die kulturelle Zusammenarbeit mit anderen Staaten liegt mir sowohl als Mitglied des Auswärtigen Ausschusses als auch als kulturpolitische Sprecherin der FDP sehr am Herzen. Akademischer und kultureller Austausch kann aber nur gelingen, wenn wir bereit sind, uns wirklich mit den Unterschieden der Kulturen auseinanderzusetzen und sie verstehen wollen. Deshalb ging es zunächst nach Delhi, der Hauptstadt Indiens, wo uns die Deutsche Botschaft in Indien und das Ausschusssekretariat eine tolle Reise mit vielen interessanten und aufschlussreichen Terminen organisiert hatten. Vor Ort diskutierten wir mit Kulturschaffenden und Institutionen über die eingeschränkte Medienfreiheit, die Erinnerungskultur und auch den kulturellen Austausch untereinander. Unter anderem besuchten wir das Goethe-Institut in Neu Delhi, das Ghandi Smriti Museum und die National School of Drama in Varanasi.

Indien ist ein Land im Aufbruch. Es zeigt sich selbstbewusst und zukunftsorientiert. Im vergangenen Jahr war Indien Gastgeber des G20-Gipfels, was im Stadtbild immer noch deutlich sichtbar ist. „One World - One Family - One Future“ war das Motto der G20 und ich frage mich, was genau das für Indien, aber auch für uns bedeutet, wenn wir Indien als immer wichtiger werdenden Partner betrachten. Gerade was die Medien- und Pressefreiheit angeht, gerät die größte Demokratie seit Jahren zunehmend unter Druck. Der World Press Freedom Index bescheinigt Indien, dass die Pressefreiheit zwar in der indischen Verfassung von 1949 verankert ist, das Land aber im internationalen Ranking immer weiter abrutscht. Im Jahr 2023 lag Indien nur noch auf Platz 161 von 180 Ländern. Umso wichtiger war es für uns als Delegation, mit Medienschaffenden ins Gespräch zu kommen und den Austausch zu suchen. Es geht darum, die Diskrepanz zwischen freien und unabhängigen Wahlen und den eklatanten Einschränkungen der Pressefreiheit sowie die Wechselwirkung zwischen beiden zu verstehen.

In unseren Gesprächen haben wir aber auch einen Eindruck von der Vielschichtigkeit Indiens bekommen. Die indische Kultur, insbesondere Kunst, Musik, Literatur, Theater und Architektur, hat eine jahrtausendealte Tradition. Gleichzeitig entwickelt sich das Land ständig weiter und schafft Neues. Die Vielzahl der Sprachen und Völker haben das Land zu dem gemacht, was es heute ist. Auch die historischen Erfahrungen der Befreiung aus kolonialer Abhängigkeit und der Aufbau einer Demokratie prägen das Land bis heute.

Der zweite Teil unserer Reise führte uns nach Mumbai, der wichtigsten Hafenstadt Indiens. Hier besuchten wir zahlreiche kreative und innovative Institutionen wie das National Centre for the Performing Arts und Whistling Woods, Asiens erstes Institut für Film, Kommunikation und kreative Künste, sowie die Sir J.J. School of Art, die größte Kunsthochschule Mumbais. Sie wurde 1857 gegründet und ihr Studienangebot reicht von bildender Kunst über Textilkunst und Architektur bis hin zu Zwischenformen. Während unseres Aufenthaltes konnten wir die letzten Vorbereitungen für die bevorstehende Jahresausstellung beobachten. Außerdem besuchten wir Teile der Bollywood Filmstudios, das Filmstudio Yash Raj Films, um uns mit Filmschaffenden auszutauschen. Wir sprachen über die Art der Filmförderung und darüber, was wir gemeinsam schaffen oder auch voneinander lernen können. Ein weiteres besonderes Erlebnis war der Besuch der Insel Elephanta im Bundesstaat Maharashtra mit den Höhlen von Elephanta, die zum Weltkulturerbe gehören. Der anschließende Besuch des Museums für Kunst, Naturhistorie und Geschichte gab uns einen Einblick in die Ausstellung „Ancient Sculptures“, in der auch Skulpturen aus der Sammlung der Staatlichen Museen zu Berlin zu sehen waren.

Die Reise durch Indien war für mich unglaublich reichhaltig, vielfältig und gleichzeitig voller Widersprüche. Der Satz „The Opposite is also true“, den der deutsche Botschafter in Indien, Philipp Ackermann, in unseren Gesprächen geprägt hat, bleibt. Alles, was wir dort sehen und für wahr halten, kann aus einer anderen Perspektive ganz anders wahrgenommen werden. Ich bin dankbar für die Gelegenheit, diese Gegensätze zumindest durch ein erstes Eintauchen erfahren zu haben. Kultur schafft Orte der Begegnung und baut Kommunikationsbarrieren ab, sie schafft Perspektivwechsel und fördert den Austausch. Unsere Delegationsreise durch Delhi und Mumbai hat uns um prägende und lehrreiche Erfahrungen bereichert, die diesen kulturellen Austausch und ein wachsendes Miteinander bestätigt haben. Ich bin gespannt, was wir in der kulturellen Zusammenarbeit mit Indien in den nächsten Jahren schaffen und erreichen können.