Freihaus-Artikel September 2023: Potenziale der Popkultur entfesseln!
Pop ist: Literatur, Film, Kunst, Fotografie und natürlich Musik. Pop ist Mainstream und Innovation in einem. Pop ist Alltag und Kreativität. Es ist das, was uns umgibt und unser Leben bunter, vielfältiger und mit schillernden Funken bereichert. Popkultur ist mehr als Unterhaltung, sie spiegelt unsere Werte, Träume und Hoffnungen wider. Dadurch hat sie die einzigartige Möglichkeit, Veränderungen herbeizuführen und wichtige Botschaften an ein breites Publikum zu vermitteln.
Im Rahmen des diesjährigen Pop-Kultur Festivals des Musicboard Berlin hatte ich die große Ehre, über Popkultur und ihre Rolle für den gesellschaftlichen Fortschritt zu sprechen. Mit der fortschreitenden Digitalisierung und Globalisierung wächst auch unsere Popkultur stetig und gewinnt an Kraft und Reichweite. Umso wichtiger ist es, darüber nachzudenken, welche Werte sie vermittelt und welche Hürden in der Branche und in der Politik noch zu bewältigen sind.
Die wertebildende Rolle der Popkultur zeigt, dass Unterscheidungen zwischen Pop- und Hochkultur schon lange nicht mehr zeitgemäß sind. Popkultur ist, gerade wegen ihrer gesellschaftlichen Relevanz genauso wichtig und förderungswürdig. Diese Förderung sollte jedoch nicht nur finanzieller Art sein, sondern sich auch auf die Schaffung von Rahmenbedingungen konzentrieren, in denen sich Kreativität entfalten kann.
Die Popkultur ist in einer Schlüsselposition, um gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen und voranzutreiben. Oft spiegeln sich in ihr aber leider auch die Ungleichheiten wider, die in unserer Gesellschaft noch immer existieren, sei es in Bezug auf Gehälter, die Besetzung von Jurys oder Sichtbarkeit auf der Bühne. So liegt beispielsweise der Gender Pay Gap in der Filmbranche mit 35 Prozent weit über dem Bundesdurchschnitt. Eine Studie der MaLisa-Stiftung ergab, dass der Frauenanteil auf Festivalbühnen in den letzten Jahren unter 20 Prozent lag. In den deutschen Charts sei der Frauenanteil sogar von 13,2 Prozent im Jahr 2012 auf 8,3 Prozent im Jahr 2019 gesunken. Der Anteil nicht-binärer Personen sank von 0,5 Prozent im Jahr 2010 auf 0,3 Prozent im Jahr 2019.
Das Problem der Geschlechterungleichheit betrifft nicht nur den deutschen Kulturbetrieb, sondern ist auch ein internationales Problem. So waren beispielsweise bei den Grammys zwischen 2013 und 2023 rund 86 Prozent der Nominierten Männer.
Geschlechterungleichheit ist eine Herausforderung, der mutig begegnet werden muss. Es ist an der Zeit, dass wir nicht länger akzeptieren, dass Frauen und nicht-binäre Künstler:innen in der Popkultur weniger Sichtbarkeit und Anerkennung erhalten als ihre männlichen Kollegen. Jede kreative Kraft, unabhängig des Geschlechts, sollte die gleiche Chance haben, gehört zu werden.
Geschlechtergerechtigkeit allein reicht jedoch nicht aus. Popkultur muss auch für alle zugänglich sein. Barrierefreiheit bedeutet nicht nur physische Zugänglichkeit, sondern auch die Möglichkeit für Menschen mit Behinderungen, an Popkultur teilzuhaben und sie zu genießen, ohne dass sie von den Gegebenheiten vor Ort eingeschränkt werden. Dies erfordert Räume, die dank Awarenessteams wirklich für alle offen sind - auch für Assistenzhunde.
Mit diesen Überlegungen haben wir Freie Demokraten im Kulturausschuss des Deutschen Bundestages einen Festivalförderfonds diskutiert. Er soll eine transparente Förderung ermöglichen, die anhand kulturpolitisch relevanter Kriterien und aktueller Herausforderungen einen Paradigmenwechsel in der Förderlandschaft für Festivals etabliert. Wir reagieren damit auf die Innovationskraft, die bereits gezeigt wird und zollen den Veränderungen in der Kultur Respekt. Dabei wollen wir insbesondere Aspekte wie Diversität, Nachhaltigkeit, Nachwuchsförderung und Vernetzung in den Vordergrund stellen.
Eine weitere wichtige Baustelle für die Chancengleichheit in der Kulturbranche ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Gerade im Kunst- und Kulturbereich gibt es entscheidende Faktoren, die dieser Vereinbarkeit im Wege stehen. Ungewöhnliche Arbeitszeiten, Stigmatisierung und Imagewandel von Frauen-Müttern und ihren Körpern sowie ein Geniekult mit einer „Alles-oder-Nichts“-Mentalität nehmen Kulturschaffenden die Freiheit, selbstbestimmt über ihre Familienplanung zu entscheiden. Eine Studie der Bühnenmütter ergab, dass fast die Hälfte der Studienteilnehmerinnen in ihrem Berufsleben diskriminierendes Verhalten aufgrund ihrer Mutterschaft erfahren haben. Jede vierte Studienteilnehmerin gab an, dass ihr aufgrund ihrer Mutterschaft ein Vertrag gekündigt oder sie von einer Produktion ausgeschlossen wurde. Es ist bedauerlich, dass viele talentierte Künstler:innen aufgrund mangelnder Unterstützung und realitätsferner Ideale gezwungen sind, sich zwischen ihrer kreativen Leidenschaft und ihrer familiären Verantwortung zu entscheiden.
Wir müssen Strukturen schaffen, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen. Dazu gehören angemessene Elternzeiten, flexible Arbeitszeitmodelle und Unterstützung bei der Kinderbetreuung, damit niemand wegen seines Berufes auf die Verwirklichung seiner Familienträume verzichten muss. Die Popkultur hat eine immense Kraft. Sie kann Stereotypen brechen, Vorurteile abbauen und Veränderungen anstoßen. Diese Kraft sollten wir nutzen, um eine Gesellschaft zu gestalten, in der Geschlechtergerechtigkeit, Barrierefreiheit und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Kulturschaffende selbstverständlich sind.